Die richtigen Quereinsteiger:innen finden mit talentorientierten Jobinterviews
Als wäre es nicht schon schwer genug, überhaupt Personal zu finden – jetzt sollen es auch noch die „richtigen Talente“ sein? Wir sagen: Ja! Denn ebenso aufwändig wie die Personalsuche ist sicher auch die Einarbeitung. Deshalb gilt es, passende Talente für diese nachhaltig wichtige Investition zu finden.
Nicht vergessen: Wir befinden uns in einem Arbeitnehmer:innenmarkt
Eines steht außer Frage: Wir haben eine Arbeitsmarktsituation, in der sich nicht länger Talente bei Unternehmen, sondern Unternehmen bei Talenten bewerben müssen! Das erfordert also ein klares Bewusstsein für Arbeitgeber:innen über die Definition von „Talent“ für das eigene Unternehmen bzw. gute Ideen, wie man Talente jedes Bewerbenden sinnstiftend, wirtschaftlich und zukunftsorientiert einsetzen kann.
Grundsätzlich gilt: Jeder Mensch hat Talente – Sie müssen nur lernen, diese zu erkennen, und überlegen, ob und wie Sie diese sinnstiftend einsetzen können!
Es kommt nicht nur auf die fachliche Qualifikation an
Wer an Talente denkt, wird wohl zunächst den Blick auf die fachliche Qualifikation als vielversprechendsten Teil einer schnellen Integration neuer Mitarbeiter:innen lenken. Das ist sicher so weit richtig, jedoch verliert das größte Fach- und Erfahrungswissen seine Wertigkeit, wenn die Motivation nicht dazu passt. Und umgekehrt ist die größte Motivation am Ende nichts wert, wenn dahinter Erwartungen stehen, die praktisch nicht erfüllt werden können.
Quereinsteiger:innen bringen einen bunten Blumenstrauß an möglichen Motivationsfaktoren mit. Hier nur ein paar Möglichkeiten, um die Vielfalt zu unterstreichen:
- „Ich suche einen krisensicheren Job.“
- „Ich habe keine Lust mehr, jeden Tag denselben Aufgaben nachzugehen.“
- „Mein alter Chef zeigt keine Wertschätzung für meine Arbeit.“
- „Ich habe Langeweile in meinem aktuellen Job.“
- „Mir fehlen berufliche Perspektiven.“
- „Ich will mehr Geld verdienen.“
- „Ich möchte einen Job, der mit der Familie vereinbar ist.“
- „Ich möchte mich beruflich neu orientieren.“
- „Ich möchte mehr aus meinen kaufmännischen Grundkenntnissen machen.“
- „…“
Klassischerweise sind Personaler:innen zunächst darauf bedacht, die Spreu vom Weizen zu trennen, und folgen dabei der Devise: Bewirbt sich der Bewerber oder die Bewerberin mit einer „Weg-von“-Motivation (er/sie möchte einfach nur weg vom bisherigen Arbeitgeber und etwas Neues machen) oder einer „Hin-zu“-Motivation (er/sie möchte ausdrücklich bei Ihnen als Arbeitgeber arbeiten)?
So oder so liegt es auf der Hand, dass Menschen, die sich für einen Quereinstieg entscheiden, zu dieser Zeit auch eine persönliche Findungsphase durchlaufen oder jüngst durchlaufen haben. Wir empfehlen Ihnen daher, die ursprünglich als Ausschlusskriterium gedeutete „Weg-von-Motivation“ kritischer zu hinterfragen und sich stattdessen als Chancengeber:in und Orientierungshilfe anzubieten. Wenn Sie in dieser Phase punkten und beweisen, dass Sie talentorientierte Führung und Kommunikation in Ihrer Kultur verstanden haben, erhöhen Sie massiv die Chancen, einen Kollegen oder eine Kollegin mit ehrlicher Loyalität und viel Motivation zu gewinnen. Selbst wenn sich herausstellt, dass man nicht zueinander passt, ist das für den Bewerber oder die Bewerberin ein Erkenntnisgewinn, bei dem das Unternehmen als Arbeitgeber positiv im Gedächtnis bleibt und somit vielleicht im Sozialumfeld des Bewerbenden empfohlen wird.
Talente und Veranlagungen von Kompetenzen unterscheiden
In der klassischen Personalentwicklung wird ausgehend von Leistungsbereichen und dabei erforderlichen Aufgaben ein begünstigendes Kompetenzportfolio abgeleitet. Dieses bildet schließlich die Basis für Stellenausschreibungen.
Beispiel: Der Leistungsbereich „Verwaltung und Buchhaltung“ eines Unternehmens erfordert die Erfassung sensibler Finanzdaten, wobei Kompetenzen wie Detailgenauigkeit, Qualitätsbewusstsein und Integrität die ordentliche Erfüllung der Aufgabe begünstigen.
Möchte man nun beispielsweise Kompetenzen wie die Detailgenauigkeit oder das Qualitätsbewusstsein eines Bewerbenden bewerten, so könnte man diese aus Erfahrungen einer gemeinsamen Probezeit oder einem qualifizierten Arbeitszeugnis herleiten. Der angesprochene Arbeitnehmer:innenmarkt verschärft jedoch die Situation dahingehend, dass wir uns von der luxuriösen Wunschvorstellung verabschieden müssen, dass jede:r Bewerber:in unaufgefordert ein umfängliches Paket an Arbeitszeugnissen bereithält. Inzwischen kann man schon froh sein, wenn überhaupt ein vollständiger Lebenslauf eingeht.
Sicherlich kann man festhalten, dass Bewerber:innen, die es versäumen, vollständige Bewerbungsunterlagen zu senden, auch offensichtlich weniger Wert auf Detailgenauigkeit und Qualitätsbewusstsein legen. Ganz grundsätzlich sollten Sie sich jedoch vor Augen führen, dass gar nicht mehr jede:r Arbeitgeber:in diese vollständigen Unterlagen fordert.
Somit kann sogar Ihre Bitte zur Nachreichung von Zeugnissen mitunter für die Bewerber:innen schon zu mühsam im Vergleich zu einem anderen Arbeitgebenden sein, weshalb Sie als Arbeitgeber:in bereits aus der engeren Auswahl fliegen.
Jetzt werden Sie vielleicht sagen: „Diese Art Bewerber:in brauchen wir bei uns eh nicht.“ Fragen Sie sich an dieser Stelle aber auch einmal ehrlich, ob Sie gerade vielleicht zu sehr mit etablierten Tugenden messen, anstatt das Effizienzdenken, den Mut oder die Flexibilität der bewerbenden Person auch im eigenen Interesse als Talent zu erkennen und Ihre Überlegungen zum geeigneten Einsatz der Person auch dahingehend weiterführen sollten.
Merke: Wer zu lange nur nach prinzipientreuen, konzentriert fokussierten und loyalen Erfüllungsgehilfen sucht, die Dienst nach Vorschrift machen, muss sich nicht wundern, wenn dann – wenn es darauf ankommt – keiner da ist, der mit kreativen Ideen, viel Flexibilität und einer intrinsischen Lust auf Veränderung die Digitalisierung vorantreibt oder das Unternehmen kundenorientiert weiterentwickeln möchte.
Natürlich soll jetzt keine 180°-Zeitenwende angeschlagen werden, bei der es nur noch gilt, kreative, veränderungsbereite und flexible Menschen zu finden, die mit Ordnung und Struktur weniger am Hut haben. Im Gegenteil, einige Aufgabengebiete Ihres Unternehmens bleiben sicher auch weiterhin geprägt von Aufgaben, die ein hohes Maß an Detailgenauigkeit, Qualitätsbewusstsein und Integrität erfordern. Versuchen Sie trotzdem, einen Prozentsatz von etwa 15 – 20 % Ihrer Belegschaft mit kreativen Köpfen zu decken, und sehen Sie hier das unvoreingenommene Potential von Quereinsteigenden als Chance für frischen Wind und neue Ideen. Unser Vorschlag: Starten Sie die Zusammenarbeit als Dialog mit einem talentorientierten Jobinterview, um genau in Erfahrung zu bringen, wo die Veranlagungen der Bewerber:innen liegen.
Wie läuft ein talentorientiertes Jobinterview ab?
Starten Sie mit grundlegenden Interviewfragen und zeigen Sie erst einmal ehrliches Interesse und viel Wertschätzung für Bewerber:innen, ohne an eine konkrete Position zu denken:
- Wer sind Sie?
- Stellen Sie sich einmal vor: Sie sind nach Hause gekommen und es war ein Tag, den Sie mit dem besten Job der Welt verbracht haben. Was haben Sie an diesem Tag gemacht?
- Worauf sind Sie am meisten stolz in Ihrem Leben?
- Wie schätzen Sie Ihre eigenen Talente und Fähigkeiten ein?
- Gibt es etwas, was Sie besser können als andere Menschen?
- Erläutern sie 3 Punkte, an denen Sie in diesem Jahr arbeiten wollen?
- Was gibt Ihnen Energie?
- Was motiviert Sie, sich um diese Stelle zu bewerben?
- Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?
- etc.
Nun haben Sie schon eine ganze Menge an Informationen über die Talente des Bewerbers oder der Bewerberin erfahren. Im nächsten Schritt sollten Sie nun vertiefen, wie der Bewerber oder die Bewerberin gedenkt, sein/ihr Talent gewinnbringend für das Unternehmen einzusetzen. Betrachten Sie Bewerbungen von Quereinsteigenden dabei wie eine Initiativbewerbung.
Sie haben eine:n motivierte:n Quereinsteiger:in gefunden, der/die wirklich explizit in Ihrem Unternehmen arbeiten möchte – was jetzt?
Herzlichen Glückwunsch! – Offenbar machen Sie schon einen sehr guten Job, der dazu geführt hat, dass Sie als Arbeitgeber:in so attraktiv sind, dass Menschen aus diesem Grund bei Ihnen arbeiten wollen.
Nutzen Sie zunächst diese Situation, um nochmal ein detaillierteres Verständnis darüber zu bekommen, was genau sich die Bewerber:innen von Ihnen als attraktiver Arbeitgeber erhoffen, und investieren Sie in eine sorgfältige Erwartungsklärung auf beiden Seiten.
Versuchen Sie zu vermeiden, dass falsche Versprechungen von Dritten dazu geführt haben, dass man sich bei Ihnen bewirbt, aber freuen Sie sich vor allem über die Tatsache, dass jemand mit Ihrem Unternehmen in die Zukunft gehen möchte.
Wollen Sie sichergehen, dass gewisse Talente vorhanden sind, fragen Sie konkreter nach. Das könnte –bezogen auf die drei eingangs genannten Kompetenzen – wie folgt lauten:
Detailgenauigkeit
- Wie prüfen Sie Ihre Arbeit oder die Arbeit anderer auf Fehler?
- Können Sie eine Arbeitssituation schildern, in der Sie eine große Menge an Daten verarbeiten mussten? Wie haben Sie das gemacht?
- Was tun Sie in Ihrem aktuellen Job, um Fehler zu vermeiden?
Qualitätsbewusstsein
- Sind Sie kritisch in Bezug auf Ihre eigene Arbeit? Wie zeigt sich das?
- Wie definieren Sie für sich selbst Qualität?
Integrität
- Können Sie eine Situation nennen, in der Sie in Versuchung gerieten, entgegen Ihrer Integrität zu handeln? Was haben Sie gemacht und warum? Wie ging es letztlich aus?
- Haben Sie je das Gefühl gehabt, jemanden verletzt zu haben?