Grenzen sind da, wo du sie setzt

Mein Selbstmanagement im „Hybrid Life“

Noch schnell von meiner Tochter im Kindergarten verabschiedet und schon sitze ich im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Mit Blick auf den Zeitverlust ist die ca. 30 Kilometer lange Fahrstrecke durch den Wald noch immer ein kleiner Effizienzkiller im Vergleich zur Möglichkeit, aus dem Homeoffice zu arbeiten. Aber die Strecke fährt sich üblicherweise sehr entspannt und schneller als so mancher Arbeitsweg in der Großstadt, weshalb ich mir angewöhnt habe, die Fahrt mit meiner Lieblingsplaylist fürs Wachwerden und ein ruhiges Einstimmen auf den Tag zu nutzen.

Der ganze Morgen war heute ausnahmsweise sehr harmonisch – die Kinder haben sich rechtzeitig fertiggemacht, ich hatte nach meinem Kaffee sogar Zeit, spontan der Einladung meiner Tochter zu einem kleinen Tanz im Wohnzimmer zu folgen. Vielleicht liegt die fröhliche Laune der Kinder auch darin begründet, dass sie den Tag mit Schokolade zum Frühstück gestartet haben. Die habe ich gestern Abend wohl auf dem Wohnzimmertisch liegen lassen. Egal – jetzt weiß ich, wofür es gut war ...

Wirklich abschalten von zu Hause muss ich also heute eher nicht und so genieße ich die ersten Lieder meiner Playlist und freue mich über den frischen Schnee im Wald, während ich nochmal kurz alle familiären To-dos im Kopf durchgehe. Da ist sie wieder, die innere kleine Stimme, die mich zur Effizienz zwingen will. Gönn dir die Pause später, klär jetzt schnell die Termine der Kinder in dieser Woche …

Etwa nach der Hälfte der Fahrstrecke befinde ich mich für ein paar Kilometer auf der Autobahn und passiere die Landesgrenze nach Hessen. Diese markante Stelle habe ich vor einer Weile für mich auch als eine Grenze im Zeit- und Selbstmanagement definiert. Sobald ich diese Grenze passiere, lasse ich auf dem Weg zur Arbeit meine privaten Themen los und konzentriere mich von da an auf die beruflichen Themen. Auf dem Rückweg lasse ich dort die beruflichen Themen gedanklich los und stelle mich auf die Familie und meine Rolle als Familienvater ein. Noch ein kurzer Anruf aus dem Auto bei meiner Frau, weil mir noch ein Geschenk für den großen Sohn eingefallen ist – und ab jetzt bereite ich mich gedanklich auf meinen Termin um 09:00 Uhr mit einer Kundin vor.

Wir sind um 09:00 Uhr verabredet, um die Trainingsplanung für das kommende Jahr durchzusprechen. Ich freue mich schon sehr auf den Austausch mit ihr, schließlich haben wir uns einige spannende Projekte vorgenommen. Doch plötzlich stehe ich unerwartet in einer Vollsperrung. Auch wenn ich unzählige Kilometer auf deutschen Autobahnen verbracht habe, habe ich tatsächlich sehr lange nicht mehr in einer Vollsperrung gestanden. Wirklich genervt bin ich in diesem abrupten Moment der Ohnmacht aber nicht. Das kurze Ärgernis wird schnell verdrängt durch eine fast schon routinierte Gelassenheit. In meinem Kopf spule ich ein paar Fragen ab:

  • Was ist in dieser Welt schon noch planbar?
  • Warum soll ich mich aufregen, wenn ich doch eh nichts an der Situation ändern kann?
  • Ob das lange dauern wird?
  • Wer ist jetzt von mir abhängig und muss informiert werden?

Ich betätige die Freisprechanlage und informiere sofort die Kundin über meine vorerst nicht absehbare Verspätung. Das ist mir nicht nur aus Höflichkeit wichtig, sondern vor allem auch eine Art Tugend, der ich mich selbst verschrieben habe, um andere Menschen in ihrem Zeitmanagement möglichst unabhängig von mir zu machen. Wir alle wollen eine möglichst zuverlässige Planung und dazu brauchen wir transparente Informationen und zuverlässige Menschen um uns herum. Die Kundin ist informiert, meine Kolleginnen wissen Bescheid, dass ich später komme. Eigentlich könnte ich jetzt die Augen schließen und ein bisschen Schlaf nachholen …

  • Vielleicht könnte ich auch schon was für die Arbeit erledigen?
  • Kann ich nicht einfach den Laptop aufklappen und loslegen?
  • Ich kann doch gerade eh nichts anderes tun – dann nutze ich die Zeit wenigstens sinnvoll …
  • Wenn ich hier jetzt was tue, verzögert sich die Arbeit später nicht – hat doch auch was Positives …

Kaum habe ich den Gedanken zu Ende gedacht, krame ich bereits auf dem Beifahrersitz in meiner Tasche nach dem Laptop. Mal schnell 2-3 Mails beantworten, geht schließlich inzwischen auch von unterwegs. Und die Zeit hier in der Vollsperrung geht damit eh viel schneller vorbei. Was ich jetzt erledigt habe, brauche ich später nicht mehr zu erledigen.

Überall verfügbar – überall Möglichkeiten, Dinge zu klären

Obwohl ich noch nicht mal im Büro bin, bin ich schon wieder mittendrin in der hybriden Arbeitswelt. Überall verfügbar, überall Möglichkeiten, Dinge zu klären, abzuarbeiten oder zu organisieren – egal wann, egal wo. Die Familie ist jetzt völlig vom Radar verschwunden und ich bin eingetaucht in meine To-dos und Ziele. Wenn mich heute nicht zufällig nochmal meine Frau anruft, werde ich wohl erst heute Abend in der Einfahrt bemerken, dass es da noch ein anderes Leben gibt. Würde ich, wenn ich nicht schon mindestens 50 x in dieser Situation gewesen wäre, dass ich in die Einfahrt abbiege, dabei ein Telefonat mit Kunden zu Ende führe und die Kinder parallel erwartungsvoll an die Autotür klopfen.

Es waren Momente wie diese, in denen ich nicht mehr wusste, was ich gerade priorisieren soll. Momente, vor denen ich mich heute schütze, indem ich das Schild der Landesgrenze nach Niedersachsen auf dem Weg nach Hause nutze, um mich von dort an bewusst auf die Familie einzustellen. Ab hier gibt es keine Kundentelefonate, keine Gedanken über berufliche To-dos mehr. Ab hier sind mir folgende Fragen inzwischen sehr wichtig:

  • Wie ging es meiner Frau und den Kindern heute?
  • Was stand bei ihnen an?
  • Gibt es etwas, wo ich sensibler als sonst sein sollte?
  • Braucht eines der Kinder oder meine Frau heute besondere Aufmerksamkeit, weil etwas Ereignisreiches anstand oder ansteht?
  • Kann ich noch schnell etwas besorgen?
  • Worüber würden sich die Kinder oder meine Frau heute Abend freuen?
  • Was brauche ich heute noch für mich selbst und wie passt dieses Selbstbedürfnis in den Rest der Planung mit der Familie?

Wenn ich ein paar Minuten über diese Fragen nachgedacht habe, passiert es oft, dass ich meine Frau kurz aus dem Auto anrufe. Wir sind inzwischen richtige Organisationsprofis für den Alltag mit 3 Kindern geworden und stolz darauf. Dieser Anruf ist ein tolles Sparring, was wir beide mit der nötigen Empathie für den Tag des anderen starten. Dieser kurze Austausch hilft uns beiden sehr dabei, die Dinge, die uns wichtig sind, zu sortieren, und hilft uns, das gemeinsame Abendessen mit den Kindern auch wirklich von organisatorischen und beruflichen Themen zu trennen.

Wie kann gesundes Zeit- und Selbstmanagement im Hybrid Life gelingen?

Es ist schon erstaunlich, wie viele Entscheidungen wir inzwischen über den Tag verteilt treffen müssen und was privat und beruflich so alles los ist. Dabei noch auf sich selbst und andere zu achten, kann zur echten Herausforderung werden. Alle reden von Hybrid Work – aber wie soll man das jetzt eigentlich für sich selbst übersetzen? Meine Empfehlung lautet: Entscheiden Sie es selbst! Ich für mich kann nur feststellen: ich bin mittendrin in einem „Hybrid Life“ und freue mich über viele neue Möglichkeiten.

Willkommen im Jahr 2023!

Nur noch wenige Tage und wir schreiben das Jahr 2023. In den letzten Jahren haben wir gelernt, kleine wie große Herausforderungen in unsere Planung einzubeziehen und häufiger auch mal umzuplanen – diese Herausforderungen sind Bestandteil des Alltags geworden und die Flexibilität im Umgang damit ist ebenso gelebte Praxis wie die flexible Gestaltung von Arbeitszeit und -ort. All das gehört zum Commitment für ein Hybrid Life – und damit braucht es auch ein passendes Setting für das eigene Zeit- und Selbstmanagement, um in all der Komplexität gesund zu bleiben und den Überblick zu behalten.

Ob meine Frau anruft oder ich an einem Schild vorbeifahre, welches mich an meine Doppelrolle erinnert – es sind kleine wichtige Anker, die mir helfen, innezuhalten, mich neu zu sortieren und Prioritäten zu setzen. Sie provozieren diese kleinen Sequenzen der Selbstreflexion und sollten im Hybrid Life nicht nur dem Zufall überlassen werden. Ganz im Gegenteil: Wir sollten sie einplanen oder uns durch bewusste Erinnerungsstützen – wie ein Schild an der Landesgrenze – in den Alltag einbauen. Damit gelingt es uns immer wieder, uns neu zu justieren, wodurch wir uns kontinuierlich darin trainieren, die richtigen Prioritäten zu setzen. Egal, ob Überangebot an Freizeitmöglichkeiten oder viel zu viel Arbeit auf Ihrem Schreibtisch – am Ende sollten wir festhalten: Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass wir irgendwann fertig werden.

Auch heute werde ich sicher, nachdem die Kinder im Bett liegen, noch einmal 2-3 To-dos für die Arbeit erledigen. Das tue ich aber nur, weil ich weiß, dass es mir dann leichter und zwangloser von der Hand geht und ich mir dafür im Vorfeld auch Freiräume gestatten konnte. Es steht für mich also in einem gesunden Verhältnis und ist kein Zwang. Ich habe die Grenzen für mein persönliches Wohlbefinden und das Wohlbefinden meiner Mitmenschen an vielen kleinen Stellen im Alltag als Erinnerungsstützen integriert und das Glück, dass ich mir diese Freiräume auf Basis einer Hybriden Arbeitswelt ermöglichen kann. Das Schild ist also eines von vielen Symbolen und Hilfen für mein Selbstmanagement im Hybrid Life, aber keine strikte Grenze, die ich niemals überschreite.

Hier meine Tipps für Ihr Zeit- und Selbstmanagement im Hybrid Life
Oberste Priorisierungsregel: Wichtigkeit schlägt Dringlichkeit!

Damit müssen Sie sich klar werden, in welchem Kontext Sie gerade sind. Geht es um Ihre persönliche „Wichtigkeit“ oder um das „Wichtig“ eines Systems wie Ihrer Familie oder Ihrem Job? Bei augenscheinlichen Konflikten gleichen Sie ehrlich die dahinterliegenden Interessen ab und finden Sie WIN-WIN-Lösungen. Viel Spaß bei der Reflexion!

Damit die Reflexion auch gelingt, hier ein paar Ideen:

Tagesrückblick machen

  • Wie empfand ich heute meine Zeit?
  • Positiv/negativ?
  • Ausgefüllt oder leer?
  • Zu kurz/genau richtig …?

„Verlorene Zeit“ genießen

  • Scheinbar verlorene Zeit schätzen
  • Bewusst warten
  • Kurze Momente genießen

Zeitinseln einplanen

  • Termin mit mir selbst
  • Einfach mal nichts tun
  • Freitag 17:00 Uhr Wellness

Checkliste für mehr Zeiteinteilungskompetenz

  • Schriftliche Planung ist ein Vertrag mit sich selbst – beenden Sie jeden Arbeitstag mit der Planung für den nächsten Tag oder beginnen Sie den Tag mit der Planung. Nehmen Sie sich dazu 10 Minuten Zeit. (Das kann auch untertägig passieren)
  • Unerledigtes übertragen und neu entscheiden
  • Gleichartige Aufgaben bündeln
  • Wann sind Ihre persönlichen „Hochphasen“ (Leistungshoch, keine Störungen) und „Tiefphasen“ (wenig Energie, viele Störungen)? Erledigen Sie Ihre wichtigen Aufgaben in den Leistungshochphasen.
  • Zeitpuffer für Unvorhergesehenes setzen (60/40-Regel)
  • Man darf auch Pausenzeiten einplanen!
  • Setzen Sie Zeitlimits für Aufgaben.
  • Helfen Sie sich durch Erinnerungsstützen im Alltag, innezuhalten und neu zu priorisieren.

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