Der ganz besondere Erfolgsfaktor

An wen denken Sie, wenn Sie von neugierigen Menschen lesen? Fragen Sie sich auch, wie diese Menschen ein Erfolgsfaktor für Unternehmen sein können? Häufig denken wir an Menschen, die ihre Nase an der Tür plattdrücken, um möglichst viel durch das Schlüsselloch zu sehen. Vielleicht denken Sie auch an die Menschen, die auf der Autobahn für den Folgeunfall auf der Gegenfahrbahn verantwortlich sind, weil sie neugierig schauen mussten, wie die Unfallbeteiligten auf der anderen Seite aussehen. Oder gehen Sie sogar soweit, dass Sie an Adam und Eva denken, deren Neugier uns aus dem Paradies vertrieben hat? Neugier hat irgendwie einen negativen Beigeschmack. Wenn ich an meine Kindheit denke, fallen mir so Sätze ein wie: „Das geht Dich noch nichts an.“ Oder: „Frag nicht ständig so viel, wenn Du älter bist, wirst Du das schon verstehen.“ Heute erwische ich mich dann manchmal dabei, wie mir bei meinen eigenen Kindern ein „Warum? Warum? Warum?“ genervt über die Lippen geht, wenn meine sechsjährige Tochter mir mal wieder Löcher in den Bauch fragt. Und jetzt dieser Artikel, der alles ändern soll? Darf ich also ab morgen nicht mehr vom Nachfragen genervt sein?

Als Coach und Trainer, der das, was er lehrt, auch gerne leben möchte, überlege ich gerade, ob es nicht besser wäre, hier mit dem Schreiben aufzuhören - nur um sicher zu gehen, dass mir meine Tochter das nicht aufs Brot schmiert. Aber irgendwie bin ich dann doch zu neugierig. Ich möchte mich mit diesem Thema mehr beschäftigen und nach den positiven und nutzbringenden Aspekten für Unternehmen suchen.

Wenn man ein wenig im Internet recherchiert, wird man schnell feststellen, dass dieses Feld bisher recht wenig erforscht ist. Diese Tatsache verwundert, wenn wir doch in der Unternehmensrealität ständig mit Neuem konfrontiert werden. Ich habe in den letzten zehn Jahren meiner Beratertätigkeit kein Unternehmen kennengelernt, das nicht in Change- und Erneuerungsprozessen steckte. Unser beschleunigter Alltag fordert einfach von uns, dass wir bereit sind, uns auf Neues einzulassen – und das manchmal täglich. Da sollte doch die logische Schlussfolgerung naheliegen, dass wir auch neugierige Mitarbeiter benötigen! Und ich meine hiermit nicht die sensationsgeilen, die ihre „Schlüssellochneugier“ stillen wollen, damit sie in der Kantine unter vorgehaltener Hand erzählen können, was sie wieder alles mitbekommen haben. Ich meine die Mitarbeiter, die nach dem „Warum“ fragen. Mitarbeiter, die Lust haben, sich hintergründig und tiefgründig mit den Unternehmensthemen auseinanderzusetzen. Diejenigen, die sich auch mal trauen zu fragen, wie es denn weitergeht, wenn das Produkt nicht gut ankommt, und bereits eine Hypothese haben, warum das Produkt nicht beim Kunden ankommen könnte. „Kannibalisiere dein eigenes Geschäft und richte dein Interesse auf den eigenen Untergang!“ ist eine Aussage, die man in diesem Zusammenhang häufig hört. Gemeint ist hiermit, dass ein Unternehmen, welches sich mit seinem eigenen Untergang auseinandersetzt, diesen besser abwenden kann. Denn es ist gewappnet und wird nicht so schnell überrascht. Es hat die Möglichkeit, rechtzeitig Trends und Kundenerwartungen aufzunehmen und in der eigenen Ausrichtung zu berücksichtigen. Eines der prominentesten Beispiele ist sicher die Geschichte von Kodak. Als Markt- und Technologieführer hat das Unternehmen über Jahre hinweg gute Gewinne verzeichnet. Doch das starre Festhalten an den alten Geschäftsideen und die fehlende Neugier, was der Markt zukünftig möchte und was auch möglich sein könnte, hat Kodak unbeweglich gemacht. Die Entwicklung wurde einfach verschlafen. Spezialisten sagen bereits seit Jahren auch anderen erfolgreichen Unternehmen ein vergleichbares Schicksal voraus, wenn der Blick nicht in alle Richtungen gelenkt wird. Was hier verlangt wird und anscheinend notwendig ist, kann nicht alleine auf den Schultern einer Geschäftsführung oder einer einzelnen Abteilung liegen. Hier muss systematisch Neugier bei allen Mitarbeitern gefördert werden und neugieriges Verhalten erlaubt sein.

Ein weiterer positiver Aspekt der Neugier ist, dass sie einer unserer grundlegenden Antreiber ist. Es gibt wenige vergleichbare intrinsische Motivatoren wie den Wunsch, die eigene Neugier zu stillen. Leider werden die meisten Menschen in ihrer Erziehung gebremst, sich mit Neugierbefriedigung zu belohnen und so zu motivieren. Wer von uns in den Genuss einer traditionellen Ausbildung gekommen ist, hat viele Chancen bekommen, die eigene Neugier zu verlernen. Für Unternehmen bedeutet das, diese Neugier nun wieder zu erwecken und den Rahmen zu schaffen, die schier unendliche Motivation der neugierigen Mitarbeiter zu nutzen.

So kann es gelingen, die Neugier in Unternehmen zu fördern:

1. Neugier benötigt Orte, an denen das Staunen, das Nichtwissen und der „Ahhh- Moment“ erlaubt sind.

Wenn man bedenkt, dass das Betrachten eines modernen Kunstwerks die Kreativität ankurbelt, sollten wir auch über eine anregende Raumgestaltung nachdenken. Die Besprechungsräume der neugierigen Organisation sind dann vielmehr Erlebnis- und Eroberungsräume mit allerlei Dingen, die Kreativität anregen. Dieses beginnt bei den Bildern an den Wänden, geht über das Mobiliar und hört noch lange nicht beim Einrichten einer Spielecke für die Meetingteilnehmer auf.

2. Neugier benötigt Autonomie und Wahlmöglichkeiten

Unternehmen müssen ihren Mitarbeitern Freiräume schaffen und Freiheiten zugestehen. Dies beginnt bei der Arbeitszeitgestaltung und geht bis zur Wahl des Arbeitsortes. Ob ich heutzutage von zu Hause arbeite oder in einem Café sitze, spielt häufig keine Rolle. Die Angst, Büroräume könnten dann leer stehen, ist unbegründet. Gerade neugierige Menschen haben das Bedürfnis, sich mit ihresgleichen auszutauschen. Das Büro ist dann eine Art Campus und Identitätsspender.

3. Neugier benötigt Kompetenz

Schaffen Sie ausreichend Raum, indem sich Mitarbeiter weiterentwickeln und bilden können. Wenn es gelingt, den Wissenshunger anzukurbeln, so neues Wissen ins Unternehmen kommt und durch Weiterbildung nicht nur Wissenslücken geschlossen werden, kann eine kritische Betrachtung des Status quo im Unternehmen stattfinden.

4. Neugier benötigt Sinnbezug

Kaum etwas motiviert mehr als das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Der Führungskraft im „neugierigen Unternehmen“ muss es also gelingen, die Ziele für die Mitarbeiter so zu formulieren, dass ein Bezug zu etwas Sinnvollem hinter dem Ziel steckt. Das alleine wird ein wichtiger Baustein sein, die Problemlösungsneugier und den Forscherdrang bei den Mitarbeitern anzustacheln.

Und das sind Ihre konkreten ToDos als Führungskraft, um Neugier zu fördern:

  • Leben Sie eine Kultur, in der es erlaubt ist, kritische Fragen zu stellen und damit Interesse zu bekunden.
  • Individualisieren Sie die Personalentwicklung und geben Sie den Mitarbeitern die Chance, sich dort zu entwickeln, wo ihre persönlichen Interessen liegen.
  • Integrieren Sie das Gelernte systematisch in den Unternehmensalltag.
  • Schaffen Sie Freiräume, sich mit Neuem beschäftigen zu dürfen, und installieren Sie eine Plattform, um das neue Wissen ins Unternehmen zu tragen. Hierzu bieten sich Wissensplattformen im Intranet ebenso an wie Kurzvorträge zu neuen Entwicklungen durch die Mitarbeiter in Teambesprechungen.
  • Seien Sie selber neugierig! Stellen Sie den Mitarbeitern viele Fragen wie: „Was ist Ihre Erfahrung mit …?“, „Wie würde sich das ändern, wenn …?“ „Ich würde wirklich gerne mehr wissen über …“

Nachdem ich einleitend tendenziell mit einem kritischen Blick auf das Thema Neugier geschaut habe, glaube ich, die Neugier gefunden zu haben, die als Erfolgsfaktor für Unternehmen gesehen werden kann. Nun gilt es, diese Neugier-Kultur systematisch in Ihrem Unternehmen einzuführen. Hoffentlich sind die Mitarbeiter und Führungskräfte auch neugierig genug, diesen Schritt mitzugehen.

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