Kultur- und Wertekonflikte bei der Kanzleiübernahme

Wenn Kanzleien übernommen werden, ist vorab eine sorgfältige Prüfung des Unternehmenswertes notwendig – das steht außer Frage. Die meisten Bewertungsmethoden berücksichtigen detailliert materielle, messbare Werte der Kanzleien, sogenannte „harte“ Faktoren. Dabei werden die „weichen“ Faktoren wie Kommunikation, Mitarbeiter und Kultur im Zuge einer Fusion allzu oft vernachlässigt. Die Unternehmenskultur ist wahrscheinlich DER unterschätzte Erfolgsfaktor bei Fusionen und Übernahmen, denn die wirtschaftlichen Interessen stehen im Vordergrund. In den seltensten Fällen spielt es bei der Kompatibilitätsprüfung eine Rolle, ob und wie gut zwei Kulturen zusammenpassen. Dabei kann genau hierdurch die Zusammenführung erschwert werden und durch den scheinbar unwichtigen Faktor „Kultur“ können die Kosten in die Höhe getrieben werden.

Gerade wenn alteingesessene Kanzleien mit ihren gewachsenen Strukturen und Werten übernommen werden, kommt es nicht selten zu Konflikten. Diese finden sowohl auf Führungs- wie auch auf Mitarbeiterebene statt, denn Haltung und Werte machen auch vor Hierarchien nicht halt. Sätze wie: „Das haben wir schon immer so gemacht“, „Unsere Mandanten sind ganz anders, die brauchen den neuen Kram nicht“ oder „Haben wir denn bisher alles falsch gemacht?“ hört man nicht selten, wenn der Käufer seine Geschäftsprozesse und strategische Ausrichtung in die gekaufte Kanzlei implementieren will. Ein unterschiedliches Selbstverständnis, Hierarchieunterschiede und verschieden gelebte Kommunikationswege, aber auch andere Gepflogenheiten im Umgang untereinander sind nur einige Beispiele für Konfliktpotential und Hemmschuhe für die Zusammenarbeit nach einer Fusion. Es gilt also, auch weiche Faktoren systematisch in die Planung einzubeziehen und die Unternehmenskulturen strategisch zusammenzuführen. Denn man kann eine Unternehmenskultur und Werte nicht einfach austauschen.

Definiert werden kann Unternehmenskultur als Grundgesamtheit gemeinsamer Werte, Normen und Einstellungen, welche die Entscheidungen, die Handlungen und das Verhalten der Organisationsmitglieder prägen. Die Unternehmenskultur bildet den handlungsprägenden Rahmen (Werte, Normen und Einstellungen) und beeinflusst die von Dritten beobachtbare Außenwirkung. Zusammengefasst ist Unternehmenskultur das System der gemeinsam gelebten und akzeptierten Werte, Normen, Verhaltensweisen und Methoden. Sie entwickelt sich über einen langen Zeitraum und wird von der Historie und den Erfahrungen des Unternehmens beeinflusst. Sie ist Grundlage, Einflussgeber und Ergebnis - also in Summe: „So arbeiten wir hier.”

Eine Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass - wie bei einem Eisberg - der Großteil der Unternehmenskultur nicht sichtbar ist. Für die Organisationsmitglieder sind die nicht sichtbaren Faktoren verinnerlicht und selbstverständlich. Die Basis für eine gezielte Kulturentwicklung und -beeinflussung ist die Analyse und Erfassung der Ist-Situation. Dafür reicht eine eindimensionale Erhebung allerdings nicht aus, alle intern und extern Beteiligten haben ein eigenes Bild/kennen einen individuellen Ausschnitt der Kultur und bedingen diese. Deshalb sollten möglichst alle internen Organisationsmitglieder, aber auch möglichst viele externe Beteiligte in die Analyse einbezogen werden. Auf Grundlage einer Bewertung der Kultur (Stärken-und-Schwächen-Analyse) kann eine Soll-Situation für das Unternehmen entwickelt werden und festgelegt werden, wie die Kultur sich integriert und zur Ziel- bzw. Visionserreichung beitragen kann.

  1. Schritt: Analyse der vorhandenen Kultur und Werte (für beide Unternehmen)
  2. Schritt: Stärken-und-Schwächen-Analyse der jeweiligen Kulturen und Werte
  3. Schritt: Wie SOLL die Unternehmenskultur zukünftig aussehen, welche Werte stehen hinter unserem Handeln? Wie MÜSSEN die Unternehmenskultur und unser Wertebild aussehen, damit die Vision erreicht wird? → Schnittmenge finden und ergänzen
  4. Schritt: Konkreter Maßnahmenplan zur Veränderung, Integration und erfolgreichen Umsetzung des entwickelten Kultur- und Werteverständnisses (Dies muss bis zur erfolgreichen Implementierung ein kontinuierlicher Lern- und Anpassungsprozess sein, der durch ein bewusstes Controlling, also eine bewusste Bewertung und Steuerung der Entwicklung, geprägt ist.)

Für den langfristigen Erfolg muss die Nachhaltigkeit der Umsetzung von Beginn des Veränderungsprojektes berücksichtigt werden und strategisch für Stabilität innerhalb der Veränderung gesorgt werden. Dies wird unterstützt

  • durch das Vorleben der Veränderung im Management,
  • den Einsatz von Symbolen für die Neuerung,
  • die Durchführung regelmäßiger „Standortbestimmungen”,
  • indem ein Nutzen geschaffen und verdeutlicht wird,
  • indem Verantwortliche fürs „Dranbleiben” im Veränderungsprozess benannt werden und
  • dadurch, dass relevante „Machtgruppen” einbezogen werden und deren Unterstützung sichergestellt wird.

Die größte Gefahr liegt darin, die Bedeutung der Unternehmenskultur zu unterschätzen und den Veränderungsprozess nicht aktiv und professionell zu begleiten. Das Anpassen von Organisation und Strukturen reicht in der Regel nicht. Zusätzlich wird neues Handwerkszeug benötigt, um auf der Handlungsebene eine Umsetzung zu ermöglichen. Andernfalls ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, immer wieder in die alten Muster und Schemata zu fallen und damit die immer gleichen Konflikte zu erleben. Wenn also aus den entwickelten Werten ein neues Führungsleitbild entsteht, brauchen die Führungskräfte die passenden Kompetenzen, um im Alltag im Sinne der Kultur und Werte handeln zu können. Gleiches gilt für die Mitarbeiter: die angemessenen Arbeitsmethoden, Kommunikationsmodelle, Besprechungsregeln und Aktivitäten des Wissensmanagements sind nur einige Beispiele für Entwicklungsfelder. Diese müssen individuell ermittelt und mit einem konkreten Maßnahmenplan festgehalten werden.

In unserem Tages-Seminar „Kultur- und Wertekonflikte bei der Kanzleiübernahme professionell meistern” geben wir Ihnen das Handwerkszeug, die Veränderungsprozesse zu steuern, und schauen als Coach auf Ihre konkreten Praxisbeispiele und Herausforderungen. Ziel ist, dass Sie ein Verständnis entwickelt haben, was bei Kanzleiübernahmen mit den betroffenen Menschen passiert, und über das Handwerkszeug verfügen, solche Prozesse professionell zu begleiten. Weitere Informationen finden Sie im Bereich Aus- und Fortbildung beim Steuerberaterverband Niedersachsen Sachsen-Anhalt.

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